Werke

Immermanns Lebenserzählung: Preußische Jugend zur Zeit Napoleons. Ausschnitt aus Kapitel 3: Friedrichs Nachfolger.

Immermann sieht Königin Luise

Der Sinn dieser Anstalten wurde bald klar. Es hieß, der König und die Königin würden Magdeburg besuchen. Damals erinnere ich mich zum erstenmal von jener Fürstin reden gehört zu haben. Ich war von frühster Kindheit an sehr neugierig und horchte überall zu, wo ich Erwachsene redend zusammenstehen sah, wie ich denn überhaupt eher ein Verhältnis zu älteren Leuten gehabt habe als zu meinesgleichen. In der bürgerlichen Sphäre wurde damals weit weniger gereiset als jetzt. Viele hatten daher die Monarchin noch nicht gesehen, und Alle waren voll Erwartung des Wunders, oder Entzückens über die Wiederkehr hoher Freude voll. Man sprach nur von der Königin; sie wurde, wo auf sie die Rede kam, »die admirable Frau« genannt.

Nicht lange währte es, so legte eines Morgens mein Vater mit ernstem Antlitz seine gestickte Uniform an, in der ich ihn noch nie gesehen hatte und in welcher er mir, Degen an der Seite, dreieckigten Hut auf dem Haupte, wunderbar und fremd vorkam. Ich drückte mich, nachdem ich den Glanz dieses Anblicks oben auf des Vaters Zimmer eingesogen, unten in eine Ecke des Hausflurs, um den Genuß noch einmal zu haben. Er schritt an mir vorüber, ohne mich wahrzunehmen, nachdenklich vor sich hinsehend, und ich war ganz erschüttert und betäubt, denn ich hatte keine Ahnung davon gehabt, daß ein solcher Prachtrock in der Welt, geschweige daß er im Hause sei.

Gleich nachher donnerten die Kanonen, läuteten die Glocken, sprengten die roten Kammerhusaren (eine Art von Verwaltungsmiliz, die ein in diesem Friedensdienste unmäßig korpulent gewordener Rittmeister kommandierte) durch die Straße, lärmte und schrie das Volk und lief im wildesten Rennen nach dem Brücktore.

Es war uns Kindern streng verboten worden, uns in das Getümmel zu wagen, aber wie wäre da Haltens gewesen! Das Haus war von seinen Bewohnern geleert und nur der Hut einer alten Wärterin anvertraut. Der vorbeizukommen hielt nicht schwer. Rasch hatte ich die Türe hinter mir und war mit den letzten Nachzüglern auch im vollen Rennen nach dem Brücktore. Aber in der Nähe desselben kamen uns glänzende Equipagen entgegen gefahren, nachflutete der Volksstrom dem Fürstenwalle zu: von diesen Wogen wurde auch ich gefaßt, nun schwamm ich mit der Flut und wurde von ihr ruckweise auf die Stirn des Walls befördert.

Dort stand Kopf an Kopf, und es schien fast unmöglich, bis zum Gouvernementsgebäude vorzudringen, in welchem die Majestäten abgestiegen waren. Aber was wäre einem von Neugier brennenden Knaben in solchem Falle unausführbar? Gehend und kriechend, schiebend und geschoben, stoßend und gestoßen, schrotete ich mich die schwarze Menschenmasse hindurch und gelangte endlich glücklich, wenn auch etwas gequetscht, an einen Ort, wo ich nun unter den Vordersten gerade der großen Salontüre gegenüberstand, in welcher die Herrscher erscheinen mußten, wenn sie sich, wie jedermann erwartete, dem Volke zeigen wollten.

Da stand ich denn also an der glücklichsten Stelle. Aber bald überfiel mich ein entsetzliches Bangen. Im Kampf und Ringen stürmt der Mensch sich bewußtlos auf die schmale Zinne eines Turms hinauf, aber wenn er die Zinne erobert hat und nun da droben steht, kann ihm schwindlig werden. Mir fiel plötzlich zentnerschwer aufs Herz, daß ich denn doch wider das ganz ausdrückliche Verbot meines Vaters da vorhanden sei, welches mir so viel gelten mußte, als ein Befehl Friedrichs seinen Offizieren gegolten hatte. Meinem Geiste trat eine furchtbare Phantasie nahe; ich dachte, der Vater könne da statt des Königs oder der Königin in der Salontüre sich zeigen, sein Auge den Ungehorsamen entdecken! Zurückzuweichen war völlig unmöglich, die Menge hinter mir bildete eine undurchdringbare Mauer. Ich mußte also stehen bleiben, den Fügungen des Geschicks verfallen, und mich noch vor den beiden roten Kammerhusaren in acht nehmen, welche die Brücke nach dem Salon gegen den Andrang zu schützen hatten. Diese machten nicht viel Umstände mit dem Volke, und es ging hier zu wie allerorten bei solchen Gelegenheiten: nicht die Drängenden erlitten unsanfte Behandlung, sondern die Gedrängten, die unschuldigen Vordersten.

Aber bald lösete ein reizendes Schauspiel alle Angst auf und jedes herbe Wesen. Die Königin trat in die Salontüre. Ich erinnere mich ihres Anzuges noch ganz deutlich; sie trug einen stahlgrün seidenen Überrock und war übrigens ohne Schmuck, einfach gekleidet. Das Volk begrüßte sie jubelnd, Mützen und Hüte schwenkend. Sie verneigte sich mit holdseliger Freundlichkeit nach allen Seiten, und nun wurde ich Zeuge eines Auftritts, der wohl verdient erzählt zu werden. Auf silbernem Plateau wurde ihr eine Tasse dargeboten, sie nahm sie und frühstückte. Ein Herr mit mehreren Sternen auf der Brust näherte sich ihr aus der Tiefe des Salons und schien des Augenblicks zu warten, wo er ihr nach beendetem Frühstück die Tasse abnehmen dürfte.

Plötzlich aber sah die Königin empor, dann mit unglaublicher Freundlichkeit nach dem Volke. Ihr Blick fiel auf ein Kind, mit welchem die Wärterin sich auch unter den Vordersten befand. Die Schönheit des Kindes mochte ihr gefallen und das lange goldgelbe Lockenhaar des Kleinen. Sie winkte erst mit dem Finger, da aber niemand die liebenswürdige Natürlichkeit dieser Gebärde begriff, so sagte sie jemand, der hinter ihr stand, etwas, worauf der Diensttuende über die Brücke gegangen kam und der Wärterin befahl, ihm mit dem Kinde zur Königin zu folgen. Die arme Person wurde blutrot, gehorchte zitternden Schrittes und sah sich dabei unterweilen nach der Menge um, als wollte sie sagen: »Ich maße mir diese Ehre nicht an.« Inzwischen wollte der Herr mit den Steinen der Königin die Tasse abnehmen; sie lehnte es aber ab, neigte sich dem Kinde, welches unbefangen umher lächelte, entgegen, faßte seine Händchen, streichelte ihm die Wangen und gab ihm dann aus ihrer Tasse in dem Teelöffel zu kosten. Sie fragte die Wärterin nach dem Alter des Kindes, nach seinen Eltern und was dergleichen mehr war.

Alles dieses geschah in der Entfernung weniger Schritte von dem Platze, wo ich stand, so daß ich diese Einzelheiten genau bemerken konnte. Man begreift, welchen Eindruck der Vorgang im Volke machen mußte, bei dem eine Königin sich so lieblich mütterlich gegen ein fremdes Kind bezeigte. Es wurde nicht gerufen oder sonst eine laute Freude an den Tag gelegt, aber rings um mich her hörte ich murmeln, daß das doch noch eine Königin sei, wie sie sein müsse.

Ausschnitt aus Karl Immermann’s Schriften. Erster Band. Gedichte. Frühe Schriften. Verlag von J. E. Schaub. Düsseldorf 1835. S. 40 – 43.

Der Abenteurer

Junge, schnüre meinen Ranzen,
Denn ich muss wahrhaftig fort!
Alle haben mich im Ganzen
Nicht sehr lieb an diesem Ort;
Es ist Zeit, sich zu verändern,
Gehts nach Norden oder Süd,
Umzuschauen in fremden Ländern,
Wie wohl dort der Weizen blüht?

Alle Männer sind mir Feinde,
Und vom guten Wahn geheilt;
Die vortreffliche Gemeinde
Merkt, wie sie mich langweilt,
Wie sie schachern, wie sie trödeln,
Hielt ich noch so ziemlich aus,
Aber wie sie sich veredeln,
Nein, das ist ein wahrer Graus!

In der Weiber Thränenwetter
hab‘ ich lang mein Glück gemacht,
Doch nun heißen sie mich Spötter,
Weil sie sahn, wie ich gelacht.
Mit dem Körper ohne Fehle
Schaun sie sich im Spiegel an;
Ich soll‘ ihrer schönen Seele
Spiegel werden, als Galan.

Von den allerschärfsten Basen
Formte sich ein Bataillon,
Deren weiße, spitze Nasen
In mir wittern den Eujon:
Wackeln sämtlich mit dem Haupte,
Trank ich mich ein bisschen voll,
Und wenn ich ein Küsschen raubte,
Bringen sie’s zu Protokoll.

Darum Junge, schnür den Ranzen!
Es ist Zeit, von diesem Ort
In die weite Welt zu tanzen,
Über Berg‘ und Ströme fort.
Vivant alle neuen Städtchen!
Vovat jedes frische Nest
Vivant die geliebten Mädchen,
Die nicht gleich uns halten fest.

Eine Kugel ist die Erde,
Und zwei Bein‘ hat Jedermann,
Reiten lassen sich die Pferde,
Räder sind am Wagen dran;
Geht, das Alles will uns sagen,
Dass wir uns von dannen troll’n,
Und zu Fuß, zu Pferd, zu Wagen
Um die Kugeln rennen soll’n!

Cookie Consent mit Real Cookie Banner