Frankenstein von Mary Shelley und Androiden von Carl Immermann

Lesen Sie hier, welche Veranstaltungen die Immermann-Gesellschaft durchführt. In der Veranstaltung zu Frankenstein und künstlichen Menschen bei Immermann wurde viel diskutiert und die Erkenntnis gewonnen, dass Immermann ein sehr moderner Autor ist. Lesen Sie die nachfolgende Veranstaltungsrezension. Wir würden uns freuen, Sie auf einer unserer Veranstaltungen begrüßen zu dürfen. Die aktuellsten Veranstaltungen finden Sie hier, schauen Sie doch mal vorbei: https://immermanngesellschaft.de/veranstaltungen/

Literaturhaus Magdeburg, Thiemstr. 7, 39104 Magdeburg, 21.10.2023, Sa, 15 Uhr: Der Magdeburger Stadtschreiber 2023, Akos Doma, und die Vorsitzende der Immermann-Gesellschaft, Katharina Schaare, diskutierten über künstliche Menschen.

„Die Frage nach dem ,echten‘ Menschen in der beginnenden modernen Industriegesellschaft, die in Immermanns Werk eine beherrschende Rolle spielt, unterstreicht jedenfalls die Modernität des 1840 gestorbenen Autors.“ (Spreckelsen, Tilman: Das Herz als Kompass. Androiden im Werk Immermanns. Freiburg i. Br.: Rombach 1999.)

Am 21.10.2023 trafen sich der Magdeburger Stadtschreiber, Akos Doma, und die Leiterin der Immermann-Gesellschaft, Katharina Schaare, um 15 Uhr im Literaturhaus, um über künstliche Menschen vor dem interessierten Publikum zu diskutieren und konnten „die Modernität des 1840 geborenen Autors“ Immermann an zahlreichen gelesenen Auszügen erleben.

Akos Doma, in Budapest geborener Schriftsteller und Übersetzer und studierter Anglist, Amerikanist und Germanist, war somit der ideale Gesprächspartner für einen Vergleich des Androiden Frankensteins Monster mit den zahlreichen künstlichen Menschen bei Immermann. Das Monster, geschaffen aus Körperteilen verschiedener Verstorbener und zum Leben erweckt durch die Elektrizität, fristet ein einsames Dasein, denn die Menschen und sein Schöpfer, Frankenstein, sind von ihm abgestoßen. Auf der Suche nach Liebe und Verständnis wird es den Menschen gefährlich und Frankenstein überlegt, ihm eine Frau zur Seite zu stellen, aber was ist, wenn diese auch eine Bedrohung darstellt? Die Verantwortung, die die Wissenschaft mit sich bringt und auch der Erfindungsreichtum, stellt Mary Shelley in ihrem 1818 erschienenen Roman in den Mittelpunkt. Akos Doma zitierte aus diesem Roman und diskutierte mit Katharina Schaare über die Androiden bei Immermann.

Immermanns Künstliche Menschen unterscheiden sich zwar in Herkunft, Aussehen, Zweck, ihrer Menschengemachtheit, ihrer Naturhaftigkeit und dem Verfügen über Bewusstsein oder keines. Aber in ihnen ist eine gewisse Skepsis und Faszination für die künstlichen Menschen vereint, die in der damaligen Zeit in Form von Maschinenmenschen zum ersten Mal auftraten, abseits von fantastischen Gestalten wie Golems, belebten Statuen, Homunculi oder Alraunen. Diese künstlichen Menschen haben reale Vorbilder: Die vollständig mit einem Mechanismus, an einem Uhrwerk angelehnten menschlichen Maschinen Zeichner, Schreiber und Organistin, die für die Zuschauer in einem Video zu erleben waren, da sie noch erhalten sind, wurden 1774 und 1784 von den Uhrmachern Pierre und Henri-Louis Jaquet-Droz erschaffen. Nicht nur, dass diese mechanischen Puppen immer noch funktionieren: Die Firma der Brüder existiert noch als Tochterfirma von Swatch. Es werden hochwertige, an die zehntausende Euro kostende, wertvolle Uhren hergestellt. Aber die Jaquet-Droz waren nicht die ersten, die die Automaten schufen:  Vorausgehend den Automaten der beiden Uhrmacher waren die Maschinen Vaucansons, der mit einer mechanischen Ente, einem Flötenspieler und einem flötenspielenden Trommler die Menschen faszinierte.

Immermann ließ daher Androiden in seinen Werken „Papierfenster eines Eremiten“, „Der neue Pygmalion“, „Der Carneval und die Somnambüle“, „Tulifäntchen“, „Die Epigonen“ und „Ghismonda“ auftauchen und aufgrund der großen Anzahl an Werken ist es ersichtlich, dass Immermann sich häufig mit diesem Thema auseinandersetzte. Ob sie nun als „Hölzerne Gesellschaft“ in dem aus mehreren Einzelgeschichten bestehenden Erzählung „Die Papierfenster eines Eremiten“ als gedankenloses Funktionieren einer menschlichen Gesellschaft dargestellt werden, die von Maschinen mühelos ersetzt werden könnten. Oder die Darstellung Münchhausens in Immermanns gleichnamigen Roman als Mensch aus der Retorte, als Schwankender zwischen Homunkulus (künstlicher Mensch) und Natur, als Mensch, der chemisch präpariert wurde, mit blauem und braunem Auge, als Geist aller Journale und Zeitgeist in persona – Immermann zeigt in seinem Werk eine vielfältige Auseinandersetzung mit dem Stoff. Während aber Münchhausen beispielsweise als humorvolle Figur dargestellt wird, als Bibliothek der Ideen und Geschichten, der sich frei unter seinen Mitmenschen bewegen kann, wird Frankensteins Monster nur 20 Jahre zuvor als Tragödie dargestellt. Während Münchhausen aus dem Reagenzglas stammt, befindet sich Frankensteins Monster in einer Zwischenstellung zwischen Tod und Leben und die natürliche Ordnung von Leben und Sterben scheint außer Kraft gesetzt. Ähnliches ergibt sich auch bei Münchhausen, der am Ende des Romans in der Lage ist, einfach zu verschwinden.

Auch Ghismonda, Heldin eines Theaterstücks Immermanns, die zeitlebens so sein musste, wie das höfische Protokoll ihr vorgab, fühlt sich als Mumie, als Automat, fühlt sich innerlich gestorben. Erst der Tod von Guiscardo ermöglicht es ihr, als seine Verlobte, auszubrechen aus ihrem Käfig, somit aus Liebe zu einem Mann, der ihr gesellschaftlich nicht gleichgestellt ist. Während bei Frankensteins Monster der Ausbruch aus seinem einsamen Dasein nur durch die Erschaffung eines weiblichen Monsters möglich scheint, ist es doch sein Schöpfer, auf den er vollkommen angewiesen ist und der Gewissensbisse bekommt, ein zweites Monster in die Welt zu lassen.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Shelleys Andoiden und Immermanns zahlreichen künstlichen Menschen gibt es also zahlreiche, ihnen gemeinsam ist aber, dass alle mit den Menschen konkurrieren: Um die Arbeitskraft, als soziales Wesen, als Liebesobjekt. Die Veranstaltung klang mit einer regen Diskussion aus, wie es mit den heutigen künstlichen Maschinen und künstlichen Intelligenzen weitergehen wird und wie das Verhältnis zwischen künstlichen Maschinen und echten Menschen wohl in Zukunft sein wird. Aber eines zeigte sich: Das eingangs erwähnte Zitat zeigt nicht nur Immermann, sondern auch Shelley als moderne Autoren, deren Werke heutzutage nichts an Aktualität verloren haben und es wert sind, immer wieder gelesen zu werden.