Ausschnitt aus dem „Münchhausen“

Der Hofschulze zeigt dem Jäger das Schwert Karls des Großen.
Der Hofschulze zeigt dem Jäger das Schwert Karls des Großen.

„Das Schwert Caroli Magni“

Immermanns „Münchhausen“ besteht aus den zahlreichen Lügengeschichten, die sich Münchhausen für die Bewohner des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr ausdenkt. Eine davon ist die Geschichte vom „Oberhof“, die eingewebt ist und daher von findigen Verlegern oft aus dem Gesamtwerk herausgerissen wurde, um sie einzeln zu verkaufen. Das macht den „Oberhof“ zu Immeranns meistgelesenem und weitverbreitetstem Werk.

Im Oberhof entdeckt ein junger Jäger, der des Weges kommt, den Oberhof mit seinen Bewohnern, allen voran der Hofschulze, der allen anderen Höfen vorsteht. Seine Macht geht auf das Schwert Caroli Magni zurück. Hier der Augenblick, in dem der Jäger das Schwert zum ersten Mal zu Gesicht bekommt.

„Am liebsten sitze ich droben auf dem Hügel an einem stillen Platze zwischen den Kornfeldern des Hofschulzen, die dort zu Ende gehen. Man hat eine geräumige mit Kraut und Brombeergebüsch bewachsene Einsenkung des Bodens vor sich; rings im Kreise um sie her liegen große Steine, einer, gerade dem Felde gegenüber, ist der größte, über dem spannen drei alte Linden ihre Zweige aus. Dahinter rauscht der Wald. Die Stelle ist unendlich einsam und beschlossen und heimlich, besonders jetzt, wo man im Rücken das mannshohe Korn hat. Da droben bin ich viel. Freilich nicht immer in sentimentaler Naturbetrachtung, es ist auch mein gewöhnlicher abendlicher Anstandsort, von wo ich dem Schulzen die Reh‘ und Hirsch‘ aus dem Korn schieße.

Sie nennen den Platz den Freistuhl. Vermutlich hat also dort vor alters das Femgericht im Schrecken der Nacht seine Verdikte[181] ausgebrütet. Als ich meinem Schulzen ihn lobte, ging eine Freundlichkeit über sein Gesicht. Er versetzte nichts, nahm mich aber nach einiger Zeit ohne Veranlassung mit auf eine Kammer im obern Stock des Hauses, öffnete dort einen eisenbeschlagenen Koffer und zeigte mir in demselben ein altes rostiges Schwert liegend. Mit Feierlichkeit sagte er: »Das ist eine große Rarität; es ist das Schwert Caroli Magni, seit tausend und mehreren Jahren beim Oberhofe aufbewahrt, und noch in voller Kraft und Gewalt.« Ohne weitere Erklärungen hinzuzufügen, klappte er den Deckel wieder zu. Ich hätte um alles seinen Glauben an dieses Heiligtum nicht zerstören mögen, obgleich mich mein flüchtiger Blick lehrte, daß der Flamberg kaum ein paar hundert Jahre als sein könne. Er zeigte mir aber ein förmliches Attest über die Echtheit der Waffe, von einem gefälligen Provinzialgelehrten ihm ausgestellt.“

Immermann, Karl: Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken. Berlin: AB – DIE ANDERE BIBLIOTHEK GmbH & Co. KG 2021 (Band 435), S. 179 – 180.

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