Ausschnitt aus dem „Münchhausen“ 2

Ausschnitt aus dem „Oberhof“: „Eine Idylle in Feld und Busch“

Immermanns „Münchhausen“ besteht aus den zahlreichen Lügengeschichten, die sich Münchhausen für die Bewohner des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr ausdenkt. Eine davon ist die Geschichte vom „Oberhof“, die eingewebt ist und daher von findigen Verlegern oft aus dem Gesamtwerk herausgerissen wurde, um sie einzeln zu verkaufen. Das macht den „Oberhof“ zu Immeranns meistgelesenem und weitverbreitetstem Werk.

Im Oberhof entdeckt ein junger Jäger, der des Weges kommt, den Oberhof mit seinen Bewohnern, allen voran der Hofschulze, der allen anderen Höfen vorsteht. Seine Macht geht auf das Schwert Caroli Magni zurück. Hier der Augenblick, in dem der Jäger das Schwert zum ersten Mal zu Gesicht bekommt.

Auf den Oberhof kommt die junge Lisbeth, in die sich der junge Jäger verliebt. Sie ist die Wandlerin zwischen den Geschichten, denn sie kommt auch ins Schloss, um für den Baron Schulden einzutreiben und versucht, das Geld bei den umliegenden Höfen zusammenzutreiben.

„Indessen liefen der Jäger und sein Wild durch den Eichenkamp nach den Kornfeldern, Triften und Hügeln. Das Wild floh nicht vor dem Schützen, es ließ sich küssen und streicheln; es war ein sehr zahmes Wild geworden. Der Jäger trieb tausend Possen mit dem Wilde, er ringelte die gelben Locken sich um die Finger, und dann küßte er sie, er drückte, wenn die weißen Zähne seines Mädchens zwischen den Lippen zu sehr hervorschienen, die Lippen sanft zusammen und sagte, das Gesichtchen sei nicht fertig geworden und er müsse es vollenden. Er faßte das feine Ohrläppchen und kniff es etwas, doch nicht allzusehr. Dann zupfte er sie auch wohl am Kleide und wendete sich um und tat, als habe er es nicht getan. Solche kindische Possen trieb der erwachsene Mensch. – Lisbeth ging still mit freudeschwimmendem Gesicht für sich hin und ihre Hände falteten sich oft unwillkürlich wie zum Gebet. Zuweilen flüsterte sie: »O du!« Aber weiter sagte sie nichts. Trieb der Jäger seine Possen zu arg, so drohte sie ihm mit dem Finger, dann sah er sie aus seinen dunkelblauen tiefen Augen so ernst an, als zögen Gedanken der Ewigkeit durch seine Seele. Dann lachte sie und rief: »Ich fürchte mich vor dir«, und er schmeichelte: »So flüchte dich in Sicherheit!« und breitete die Arme aus. Das tat sie denn auch. Sie stürzte mit heftiger Zärtlichkeit wider seine Brust, daß die Locken schütterten und manche sich lösete und dann ruhten sie lange umschlingend umschlungen, er in ihr und sie in ihm, der einige, ganze, vollkommene Mensch.

Er nannte sie sein Herz, sein Mädchen, sein Reh. Sie nannte ihn nur Oswald, aber immer mit einem anderen Ausdrucke, und alle Töne auf der Laute der Liebe, vom schwärmerischen Entzücken bis zum scherzenden Schmeichelgeflüster klangen und zitterten in dem einen Worte. Sie hatte keine eigentlich schöne Stimme, es lag darin etwas Bedecktes, Rauhes, aber seit heute quoll etwas unendlich Süßes aus dieser Umhüllung hervor. Es war, als ob auch die Psyche ihrer Töne erwacht sei und die Flügel nach Entfaltung rängen.

Jeder dieser Scherze, alle diese Possen und die kleinsten Kleinigkeiten hatten einen Engel, der nahm sie und legte sie am Throne Gottes nieder. Denn es war die erste Liebe, die echte, die einzige, die in diesen beiden jungen, unschuldigen Herzen brannte und klopfte! In der Fülle ihrer Vorahnungen, von gesunder, treibender Hoffnung schwanger, hatten sie einander gefunden, kein Entsagen, keine Täuschung hatte sie noch um einen Tropfen warmen Blutes gebracht, vollendet, wie Aphrodite aus dem Schaume des Meeres, erstand ihnen das Glück. Das ist die Liebe, die wie jene Wunderpflanze aus Osten, vor unseren sichtlichen Augen wächst.“

Immermann, Karl: Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken. Berlin: AB – DIE ANDERE BIBLIOTHEK GmbH & Co. KG 2021 (Band 435), S. 475 – 476.

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