Ausschnitt aus “Die Verkleidungen”
“Die Verkleidungen” – 8. Auftritt
Der Prinz. Der Major von Mühling. Vorige.
Major. Verzeihung, meine Herr’n, daß ungemeldet
Wir in das Zimmer treten! Hab’ ich nicht
Die Ehre, Herrn Baron von Mengerich…
Baron. Der bin ich. Wer sind Sie?
Major. Ich bin der alte
Der ehrliche V a n d e r M a s t , und dieser Herr,
Das ist mein junger, lust’ger Kamerad F l i n k,
mein Telemach, wenn ich so sagen darf,-
Der wild’ste Zeisig, Herr Baron, auf Erden,
Ein Schnurrenmacher. Voller Faxen steckt er;
Die Zunge steht dem Jüngling niemals still.
Prinz (leise, gereizt). Mühling, ich bitte, lassen Sie den
Spaß!
Baron (sieht ihn von der Seite an. Nach einer Pause).
Jung ist der junge Mensch, ich seh’s, doch aber
Von Lustigkeit bemerk’ ich nichts, just’ment.
Mendel. Er hat ‘nen Zug von Phlegma unters Auge.
Major. Verstellung, Herr Baron! O, glauben Sie,
höchst sprudelnder Humor!
Baron (für sich). Potz Gecken und kein Ende!
(Zum Prinzen.)
Zu meiner Zeit, da sprach man mit den Leuten.
Die Zung’ ist Ihnen, Schatz, wohl eingefroren?
Sie kommen, Bester, mir – ich muß gestehn –
Wie ‘n äußerst kurioser Jüngling vor.
Prinz. Das mag wohl sein; indessen steht’s so schlimm
Mit jungen Thoren nicht; sie bessern sich.
Doch alte Narr’n, die bleiben, was sie sind.
Baron. Wie? Alte Narr’n? Gotts Blitz! Ging das auf
mich?
Verflucht! Herr Flink, was unterstehn Sie sich?
Soll ich mein Hausrecht brauchen?
Prinz. Herr Baron,
Ich möchte das nicht zum zweiten Male hören.
Baron. Oho? Klingt’s so? Das ist mir grade recht,
Ich führt’ in Frankfurt auch mal meinen Hieber.
Mendel, verfügen Sie sich zur Garderobe,
Holen Sie das Schwert aus dem Torquato Tasso!
Es steht am Grab von Romulus und Julchen!
Mendel. Waih mer. Ich mach’ in Eisen kein Geschäft.
Major (klatscht die Hände). Bravo! Bravissimo! 0 Flink,
Was hast du
Heut meisterlich gespielt! Er s t e l l t sich böse,
Und dieser Herr wird drüber bös im Ernst.
Sehen Sie, was Flinkchen Riss in seinem Kopf hat!
O Junge, lass dich embrassiren für
Die lust’ge Scene!
Prinz. Bleiben Sie mir vom Halse!
Baron. Zum Geier! Nun hab’ ich die Sorte satt!
Ich dächte – nichts für ungut – draußen wär
Sehr schöne frische Luft. Verstanden, denk’ ich!
Wir sind im Schloss hier grade so complett,
Ich mein, an Narr’n, und brauchen keine weiter.
Wer sind Sie denn? Was treiben Sie? Was woll’n Sie?
Major. Wir sind Schauspieler, und Ihr Ruf, mein
Herr,
Zog uns hieher.
Baron (verwandelt). Schauspieler sind Sie? – Mendel!
Major (leise zum Prinzen). Es hilft nichts, Prinz, Sie
Stecken in der Rolle;
Sie muss gehalten werden.
Prinz. Herr Baron –
Sie wissen nun – der Herr da sagte Ihnen…
Baron (nimmt ihn beim Kopf und küsst ihn). Daß du ein
Komiker wie Talma bist!
Schatz, Herzensjung! Da hast du noch ‘nen Kuß!
So göttlich, so natürlich spieltest Du,
daß wenig fehlt’ ich hätt’ dich ‘naus geworfen!
O Mendel, nie werd’ ich an Gott mehr zweifeln;
Denn der Allgüt’ge half uns wunderbar.
Wir haben’s Männerpersonal zusammen.
Der (auf den Prinzen deutend) spielt den Bacchus – d e r da
(auf den Major deutend) den Silen.
Prinz. Was für ein Stück und was für Rollen?
Baron. Kind,
Nicht Zeit, nicht Zeit! Lernst’s kennen, Flinkchen, wenn
Wir’s spielen!
Major. Ja, laß gut sein, lieber Flink!
Wir haben, wie ich glaube, oft gespielt
Und wußten nicht, wovon die Rede war.
Baron. Richtig, das ist der Gipfel neu’rer Bildung.
Nun fehlen noch die Weiber, A d r i a d n e
Und dann die A m m e.
Mendel. Ich hab’ Rat vor sie [sic].
Lieben Se Gewalt?
Baron. Wenn’ s sein muß, Mendel, ja!
Mendel. Es gaihn im Garten ‘rum zwei Frauenzimmer,
De Eine jung, de Andre wie ‘ne Tante.
Halten Se de Schickselcher (Mädchen, Jüdisch) im Garten fest,
So haben Se de Ariadne und de Amme.
Baron. ‘s ist Krieg! – Ich scher’ mich viel ums
Völkerrecht!
Mendel, befehlen Sie in meinem Namen
Den Musen und den Grazien und den Nymphen,
Den Parzen, den Medusen und den Furien,
Sie sollen auf die Damen vigiliren,
Sie arretieren und hertransportieren.
(Mendel ab.)
Major (zum Prinzen). ‘s kommt mir hier vor wie ein
Matrosenpressen.
Prinz. Ich wollt’, ihr wär’ aus dem verrückten Schloß.
Baron. Nun, meine Herrn, der alte Stock soll Ihnen
Ihr Stübchen öffnen. Werden sich wol etwas
Behelfen müssen. Ich erwart’ ‘nen Prinzen.
Na, Kinderchen, es gibt ein schön Stück Arbeit.
Wir stell’n ‘ne wahre Musterkarte vor.
Allein, es thut nichts; denn der Prinz ist nur
Ein dummer, junger Mensch.
Prinz (fährt auf). Mein Herr Baron!
Baron (schlägt ihn auf die Schulter). Spaßvogel, willst
Du wieder Faxen machen?
Nein, Kind, laß sein; jetzt ist nicht Zeit dazu.
Ja, was ich sagen wollte! Wie gesagt,
Der Prinz, das ist ein junger, dummer Mensch;
dem werden’s wir wol recht zu machen wissen.
Im Grund hab’ ich ihn auch nur gebeten
Des Alten wegen, um die Connexion
Mit d e m nicht zu verlieren. Kommt, Ihr Herrn!
Major (im Abgehn zum Prinzen). Gestehen Sie, die
Wahrheit wächst hier wild!
(Alle ab.)
Immermann, Carl Leberecht: Die Verkleidungen. In: Boxberger, Robert (Hrsg.): Immermann’s Werke. Vierzehnter Teil. Lustspiele. Berlin: Gustav Hempel 1883, S. 199 – 202.